20 Jahre später – 1999 und 2019 – ein Zyklusvergleich

Marktkommentar, August 2019

20 Jahre später – 1999 und 2019 – ein Zyklusvergleich

Der US-Konjunkturzyklus ist in diesen Wochen sehr alt geworden, genau genommen der älteste bzw. längste der gesamten Wirtschaftsgeschichte. Damit hat er den Zyklus der 90-er Jahre übertroffen. Wir zeigen im Folgenden Parallelen und Unterschiede zum Zyklus der 90-er Jahre auf. Der Zyklus der 90-er Jahre endete bekanntlich mit einer Bewertungserhöhung der globalen Aktien nach Zinssenkungen, die aber den Konjunkturabschwung letztlich nicht verhindern konnten, woraus sich eine Korrektur ergab. 

In diesen Wochen ist der US-Wirtschaftszyklus 121 Monate alt geworden und damit der älteste bzw. längste der gesamten Wirtschaftsgeschichte. Das bedeutet zweierlei. Zum einen ist der Konjunkturzyklus der 90-er Jahre, der 10 Jahre dauerte und mit dem Platzen der Technologie-Blase 2000/2001 endete, nun zeitlich knapp übertroffen worden. Daraus ergeben sich Fragen zu Parallelen und Unterschieden zwischen diesen beiden Wirtschaftszyklen.

In den 90-er Jahren wurde nach der Rezession von 1990 ein 10-jähriger Wirtschaftszyklus in den USA eingeleitet, der auch zu einem ähnlich langen Aktien-Bullenmarkt führte. Getrieben wurde diese ‒ dann auch globale ‒ Aktien-Hausse von amerikanischen Technologieaktien ‒ ähnlich wie auch im aktuellen Zyklus. Unterbrochen wurde der Zyklus der 90-er Jahre von zwei Schwellenländerkrisen, der Mexiko-Krise 1994 und der Krise um Asien und Russland 1997/98. Auch im aktuellen Zyklus kann man sozusagen von zwei Schwellenländerkrisen sprechen. 2015/16 gab es die Krise um China und die Rohstoffe und letztes Jahr begann der Handelskrieg zwischen den USA und China. Alle vergangenen Probleme um die Schwellenländer hatten eine Gemeinsamkeit. Das globale Wirtschaftswachstum ‒ inklusive dem amerikanischen ‒ wurde gefährdet, nachdem es sich bereits zuvor abgeschwächt hatte.

Eine weitere Gemeinsamkeit war, dass die US-Zentralbank bei jeder dieser Krisen entweder mit Zinserhöhungen pausierte oder gar temporäre Zinssenkungen durchführte. Dies hatte zwei Auswirkungen. Einerseits wurde der Wirtschaftszyklus durch billigeres Geld quasi künstlich verlängert. Andererseits wurden dadurch die Bewertungen über vernünftige Niveaus hinaus erhöht, sowohl bei Anleihen und noch mehr bei Aktien ‒ vor allem bei Technologie-Aktien, die von den Marktteilnehmern als automatischer Wachstumssektor besonders nachgefragt wurden.

Wir sehen, dass auch im letzten Punkt Parallelen zu den 90-er Jahren vorliegen, denn gegenwärtig werden die Aktienmärkte und vor allem wieder US-Technologieaktien, mit einer steigenden und hohen Bewertung gehandelt. Auch was die Zinssenkung zur künstlichen Lebensverlängerung des Wirtschaftszyklus betrifft, sind die Parallelen zu den 90-er Jahren frappant. Nicht zuletzt auf Druck der Regierung, ist die US-Zentralbank daran den US-Konjunkturzyklus zu verlängern. Dann muss die Entscheidung fallen, ob rund ½ oder ¾ % günstigere Zinsen die bestehenden Konjunkturprobleme wirklich lösen können. 
 

«Strukturell und zyklisch tieferes Wachstum bedeutet wohl tiefe Zinsen für eine lange Zeit – low for long.»

Gérard Piasko, Chief Investment Officer

Hier zeigen sich sofort auch die Unterschiede zu den 90-er Jahren. Diesmal sind es nicht zu hohe Zinsen, die für die globale, auch neuestens amerikanische, Konjunkturabschwächung verantwortlich sind. Die Ursachen sind andere. Erstens eine generelle Verunsicherung der Unternehmen über den Ausgang des Handelskonfliktes und, wegen Zollerhöhung, teureren oder eventuell sogar nicht mehr zugänglichen Lieferkomponenten. Zweitens gewisse Sättigungsanzeichen bei Konsumgütern wie Smartphones, Konsumelektronik oder Autos ‒ auch, weil die Klimadiskussion viele einen Autokauf hinauszögern lässt. Und drittens generieren die Strukturumwälzungen in vielen Branchen sowohl sinkende Margen ‒ Beispiel Finanzbranche ‒ wie auch sinkende Investitionsbereitschaft. Es ist klar, dass diese Ursachen nichts mit zu hohen Zinsen zu tun haben, als viel mehr mit handels- und geopolitischen Rivalitäten. 

Die neue Frage, die sich nun stellt, ist, ob die Aktienmärkte nach dem Prinzip Hoffnung zuerst die Bewertung erhöhen (auf höhere Unternehmensgewinne hoffend), um dann erst später den doppelten Moment der Wahrheit zu erleben. Dann, wenn sowohl hohe Bewertungen, als auch sich nicht erfüllende Hoffnungen auf höhere Unternehmensgewinne zusammen zur neuen Realität werden können. Die jüngste handelspolitische Eskalation mit der Androhung von 10 % Strafzoll auf weitere chinesische Exporte in die USA im Wert von 300 Mia. US-Dollar akzentuiert die Problematik und könnte das Weltwirtschaftswachstum rund ¼ bis ½ % tiefer ausfallen lassen und die globalen Unternehmensgewinne weiter reduzieren. Als Fazit präferieren wir daher weiterhin defensive gegenüber konjunktur- und exportabhängigen Aktien und eine vorsichtige Anlagestrategie mit diversifizierenden Anlagen in Anleihen und Rohstoffen wie Gold.

Noch einen wichtigen Unterschied zu den 90-er Jahren möchten wir zum Schluss aufzeigen. Damals war das Wachstumsniveau der globalen und auch amerikanischen Wirtschaft deutlich höher als im aktuellen Konjunkturzyklus, und zwar relative 30-50 % höher, also statt rund 2-3 % eher 3-4% und in Europa statt 1-1,5 % rund 2-2,5 %. 

Dies hat zwei Auswirkungen. Zum einen ist es eigentlich logisch, dass bei niedrigem Wachstum der Wirtschaft der Konjunkturzyklus etwas länger bzw. älter werden kann. Was aber keineswegs bedeutet, dass der Konjunkturzyklus weniger fragil wird angesichts der aktuell grösseren geopolitischen Probleme, als in den goldenen 90-er Jahren. Wir folgern, dass die Märkte wohl immer noch zu wenig Volatilität einpreisen bzw. erwarten. Zum anderen bedeutet ein strukturell tieferes Wachstum der Wirtschaft auch weniger Druck auf die Inflation nach oben, woraus sich die Konklusion ergibt, dass sich Anleger bei Anleihen wohl auf das Motto «low for long» einstellen sollten ‒ also auf tiefe Renditen und Zinsen für längere Zeit. 

Gérard Piasko

Gérard Piasko

Gérard Piasko leitet als CIO das Anlagekomitee der Privatbank Maerki Baumann & Co. AG. Zuvor war er über viele Jahre CIO bei Julius Baer, bei Sal. Oppenheim und bei der Deutschen Bank.

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Redaktionsschluss: 9. August 2019

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